Montag, 24. Oktober 2011

Wechselspiel

Dass zehn Tage Dauerregen vielleicht doch nicht innerhalb eines Tages im Boden versickern, merken wir irgendwo zwischen Iztapa und Montericco. Hinter den knietiefen Straßenseen ginge es todsicher weiter, hatte uns der nette Minibusfahrer versprochen. Mit seinem Wagen käme er da aber nicht hin. Der Tienda-Verkäufer, der jetzt vor uns steht, erzählt eine andere Geschichte. Busse: Ja, schon. Heute aber eher nicht. Seine Hand fährt von der Hüfte aufwärts. Das internationale Zeichen für Pegelstände.
Es ist jetzt 14 Uhr und bis nach Monterrico, Palmen, Sonne etc. sind es noch 15 Kilometer. Schätzt zumindest der Tienda-Verkäufer. Seit drei Wochen wollen Jan, Maria und ich an diesen Strand. Also waten wir los. Versinken mit unseren Waden in der badewannenwarmen Brühe, blicken auf geflutete Gärten, von hinter dröhnt der lokale Gemüsehändler mit seinem Lieferwagen ran. Die Sonne knallt, 30 Grad. Irgendwann ist klar, dass auf dieser Straße heute tatsächlich kein Wagen mehr fährt (Das internationale Pegelstand-Zeichen wandert bis zum Kopf). Dafür raten uns die Einwohner: "Versucht es am Strand, da fahren Pick-Ups."
Der Trampfelpfad zum Wasser führt vorbei an: kläffenden Hunden, die ihr Revier verteidigen wollen, Maisfeldern, unverputzten Wänden, schwelenden Feuern in Vorderhöfen. Obwohl wir die diversen Horrorgeschichten über genatzte Touris eigentlich verdrängen wollen, kneifen Jan und ich, jetzt mit unserem Kameras rumzuklicken.
Irgendwann kommen wir dann am Meer an. Was nicht schlecht ist. Andererseits haben wir jetzt für 140 Kilometer schon sechs Stunden gebraucht. Während wir uns auf den 15-Kilometer-Marsch einrichten, ziehen rechts das Meer und links unzählige Prollo-Villen (die ganz nebenbei ein tolles Beispiel für die krasse Wohlstandsscheere hier sind) von reichen Städtern an uns vorbei. Immerhin laufen wir auf einer Art Straße mit Reifenspuren im Sand. Mit dem feinen Meerduft in der Nase ist das gar nicht so schlecht.
Nach einer halben Stunde halten wir tatsächlich den ersten Pick up in unsere Richtung an (internationales Zeichen für: Nehmt uns mit!). Auf der Ladefläche richten wir uns neben zwei Guatemalteken ein. Sicher ist das nicht. Aber besser als Laufen.
Gewiss haben die permanenten Sicherheitswarnungen, die hier aus jeder Richtung auf einen einprasseln ihre Begründung. Andererseits ficken sie einem ganz schön das Hirn. Statt uns auszurauben steigen die zwei Kerle nach 20 Minuten Fahrt (die schon jetzt nice ist – auf einem Pick up am Strand rumdüsen) ab und machen Platz für eine Mutter mit ihren vier Kids. Offenbar sind alle irgendwie miteinander verwandt. Weil jetzt auch meine indizierte und unbewusst auch latent vorhanden gewesene Sicherheitsmanie wegschwirrt, fühlen sich die letzten Kilometer ungefähr so an, wie die Szene aus dem Film "Schule" aussieht, in der alle zum Kiffen an den See fahren. Auf jeden Fall sehen wir vom Pick up aus: Palmen, Sonne, Palmen, kleine Pueblos, Motorräder, Sonne, Palmen, Feldwege.
150 Kilometer (Siegen – Frankfurt) von Jocotenango entfernt erreichen wir nach sieben Stunden Monterrico. Bienvenido in einem anderen Land:
 
links: Johnny's Place - Backpackerabsteige

Innenhof

Klischee
futbol
Frischfisch

Wem wir unser kleines, schnieckes Reisescharmützel (das in der Tat cool war) zu verdanken haben und wer die Leidtragenden davon sind, wird uns am nächsten Tag präsentiert: Drei Tage nach dem Regen-Unwetter stehen Teile von Montericco noch immer unter Wasser. Die Bewohner verteilen Müllsäcke mit Lebensmittelrationen (so sah es zumindest aus), seit zehn Tagen bleiben die Touri-Einnahmen aus. Die Besitzer der abgesoffenen Tiendas stehen vor noch größeren Schäden.

kein Fluss


Fluss
kein Fluss
teilweise Fluss
Den Rückweg nehmen wir nach zwei Strandtagen (Sonne, Meer, Bier, Buch, Sonne, Meer, Rum, Beachvolleyball) mit dem Boot. Natürlich zum doppelten Preis. Rund 20 Minuten fahren wir mit dem kleinen Holzkaan (in Monterrico gibt es auch ohne Regenchaos eine Anlegestelle für Boote; es liegt von einer Seite an einem Mangrovenfluss), dann sehen wir in die nächsten Häuser im Wasser stehen. Wir zahlen den überhöhten Preis und steigen in unseren Reisevan.
Heute werden wir hier im Projekt unseren Alltag fortsetzen, helfen, ein Festival für 50 Kinder der Region vorzubereiten. 150 Kilometer Richtung Süden werden zur gleichen Zeit die ersten Hausbesitzer in ihre Bauten treten, die Hände über ihrem Kopf zusammenschlagen und mit den Aufräumarbeiten beginnen.

Freitag, 14. Oktober 2011

La Lluvia

Tick. Tock. Tock-tock-tock. Heute Morgen liege ich nicht am Strand, sondern verkatert im Bett. Eigentlich wollten Jan, Maria und ich dieses Wochenende nach Montericco fahren, Schildkröten beim Schlüpfen zusehen und uns von Starkströmung in den Pazifik ziehen lassen. Stattdessen trommelt der Regen noch immer seine Wellblechmelodie auf mein Zimmer. Seit gefühlten Wochen versinkt Guatemala im Starkregen. Und es versinkt tatsächlich. In den Zeitungen waten die Menschen durch hüfthoch überflutete Stadtzentren, das Fernsehen zeigt Bilder von abrutschenden Hängen und stürzenden Brücken. Obwohl dem Hurricane, der die ganze Scheisse produziert, wohl langsam die Puste ausgehen soll, haben wir unseren Playa-Trip auf Anraten diverser Guate-Locals deswegen zum zweiten Mal abgesagt. 

Mierda!

Das Gute an der Sache ist aber, dass wir gestern Abend mit den Jungs aus Los Patojos in Antigua feiern waren. Naja, saufen, wenn man ehrlich ist. Das Ritual läuft wie folgt ab: Tienda suchen, billigsten Schnaps plus Coke auswählen (1 Liter Zuckerrohrdestillat: knappe 7 Euro), an den parque central setzen und die Flasche leeren. Danach zum Tanzen in Salsa-Schuppen, Wegbier (1 Liter) immer mit eingerechnet. Am Ende recht borracho sein.
Außerdem gab es heute wieder Fussball-Action mit den Niños. Resultat: 1 zerstörter Ball, 20 klatschnasse Kids und Lehrer (denn natürlich hat es wieder geregnet) und eine 0:7 (oder so – hab aufgehört zu zählen) Niederlage für unser Team. Anschließend eine heiße Dusche und Milchpulver in kochendem Wasser. Schön.

Nach Monterrico wollen wir dann übrigens nächstes Wochenende fahren...



Dienstag, 11. Oktober 2011

Caminando

Die Frau in dem Schuhladen schaut mich grinsend an. Nein, Größe 42/43 habe sie nicht da. "Perdon". Doch so schnell will ich mich diesmal nicht geschlagen geben.
Weil mein Bewegungsradius hier an normalen Tagen ungefähr so groß ist wie ein Fussballfeld und mein Schritttacho am Ende des Tages vielleicht 0,8 Kilometer anzeigen würde, will ich Sport machen. Joggen. Doch dafür brauche ich Schuhe. Weil der Durchschnittsguatemalteke aber eine Ecke kleiner ist als der Standarteuropäer, kann das hier zum Problem werden.
Dann sehe ich das Objekt meiner Begierde: VOIT-Sportschuhe, rot-weiß, Made in China, angeblich Größe 45. Vielleicht liegt es daran, dass auch die Chinesen kleinere Füße haben – auf jeden Fall passen die Treter perfekt. Nach einer Handelsrunde fällt der Preis von 150 Quetzales auf 125. Gekauft. Deswegen bin ich heute zum ersten Mal in Jocotenango gejoggt (durch Maisplantagen, stickige Calles, Pfützenwiesen).

Auch sportlich war der Aufstieg zum Pacaya-Vulkan am Sonntag: Das Minitaxi mit Jan, mir und zehn anderen Touris nimmt die Serpentinen zum Ausgangspunkt deutlich lockerer als die normalen Camionetas. Neben mir sitzt ein Mexikaner und redet über Drogenkrieg und Oktoberfest. Als wir aussteigen, drehen uns Fünfjährige Wanderstöcke an. "No, Gracias!"
Es geht steil bergauf, dichter Nebelwald, 50 Meter Sicht, grün-grau. Hinter uns trotten drei Pferde samt Halter (Taxis natural) her. Es dauert keine Viertelstunde, bis die Mexikanerin mit den Wildlederstiefeln die 100 Quetzales dafür berappt und jetzt als gallopierendes Touristenklischee hinter uns her reitet.
Irgendwann sind wir dann oben: Grau, schwarz, grün. Grauer Nebel, schwarze Kieserde, grüne Sträucher. Dann: Stopp für Fotosession. Unser Guide fragt nun, ob wir den "camino aburido" oder den "camino divertido" nehmen wollen. Ab jetzt wird es fett.
Wie ein Bekloppter rennt der Guide los, springt Lavakämme runter. Sichtweite: vielleicht zehn bis 20 Meter. Wir hinterher. Obwohl wir auf 2500 Metern sind, ist es nicht kalt. Aus dem warmen Boden kondensiert Dampf. Wie Tau legen sich kleine Wasserperlen auf unsere Haare. Noch ein Berg zum runterspringen.
Nach einer halben Stunde sind wir dann endgültig in Moon-Country angekommen. Schwarze Lavaformationen, schwarzer Sand, Nebelschwaden, die jede Orientierung rauben. Und wieder rennt unser Guide wie bekloppt los. Er stoppt an einer Erdspalte, die Saunaluft nach oben wirbelt. Vor einem Jahr ist hier Lava hergeflossen, die derzeitige Vulkanaktivität reicht, um Marshmallows zu grillen. Nach zwei Minuten im Vulkanfön sind meine Haar wieder komplett trocken.
Mittlerweile ist es dunkel. Mit winzigen Taschenlampen verlassen wir unseren Minimond. Unten wartet das Minitaxi auf uns – begleitet von einem Polizeijeep. Uns hier, im Niemansland, auszurauben: Kinderspiel.

Zurück in Jocotenango zeigt mein Schritttacho endlich ein paar mehr Kilometer an. Ich brauche unbedingt Sportschuhe...


Nebelwald

Mondaufstieg

Galoppierendes Klischee

Weiterer Vulkan

Mondspringen          
Abstieg

Montag, 3. Oktober 2011

Tagesfetzen

09.30: Blinzeln. Gardine auf. Wolken. "Buenos Dias". Hunger. Treppen runter, Frühstück. Orange. Banane. Ananas. Limone. Alles reif. Geschmack. Geil.

10.30: Wahlwerbung, Klick. Natodraht, Klick. Straßenstände, Klick.Crazy Dog, Klick.

10.40: Kaffee. Vitamin C. Soda. Sprudeln. Orangengeruch, billig. Rotlicht. Tageslicht. Rotlicht. Shit. Shit. Shit. Hunger.

12.30: "Buenas Tardes". Broccoli. Blumenkohl. Bratwurst, scharf. Geschmack. Geil. Fernseher. Fußball ohne Taktik. Rasen, ungemäht. Schlamm. Ausruhen.

14.30: "Hola, Profe". "Que tal?". Kinderaugen. Kinderhände. Kinderlächeln. "Avion!" "Tu Hombro". "Tu Hombro". "Ahora no!".

14.50: Kaffee. Vitamin C. Soda. Sprudeln. Orangengeruch, billig. Rotlicht. Tageslicht. Rotlicht. Shit. Shit. Shit. Hunger.

16.30: Regentrommel, Wellblechdach. Kinderhände. Kinderaugen. Glück. Dominosteine. "Tu Hombro". Tu Hombro". "Ahora no!".

18.00: Reunion über Kunstfestival. Spanisch. Wortfetzen. Nicht verstanden. Verstanden. Nicht verstanden. Ärger. Zweifel. Müde. Konzentration, ohne. Hunger. Hunger. Hunger.

19.30: "Buenas Noche". Kochbananen, gebraten. Schwarze Bohnen, püriert. Pan Francais, pappig. Pan, dulce. Regentrommel, Wellblechdach. Limonen. Eis. Rohrzucker. Rum.

22.30: Gedanken. Tipp. Tipp. Tipp. Gardinen zu. Regentrommel, Wellblechdach. Gute Nacht!

© Saudiyussuf. Muchas Gracias!


Kaffee. Vitamin C. Soda. Sprudeln. Orangengeruch, billig.

Rotlicht.

Shit. Shit. Shit.