Mittwoch, 2. November 2011

Tag der Toten



Ich mag diesen Tag nicht, weil der Friedhof wartet. Meine Eltern, meine Schwester, ich, wir nehmen das Musterbauhaus in Hainchen, nehmen die Musterwiese, nehmen die Grundschule. Am Grab nehmen wir die Verwandten. Köpfe nicken. Hände schütteln.

Wir warten auf diesen Tag. Von hausgroßen Drachen habe ich gehört. Von Farben. Von Bieren. Von Menschen, die auf dem Cementerio eine Fiesta feiern. 

Meinen Cousins nicke ich zu, für meine Freunde darf ich blinzeln. Die Klassenkameraden aus meiner 4a schauen rüber. Zusammen grinsen wir unsere Unsicherheit weg.

Bier. Schnaps. Wurst. Käse. Mit einem Dutzend Leuten schwirren wir durch den Supermarkt in Santiago. Guatemalteken, Spanier, Deutsche. Ich sorge für mein Desayuno. Für mein Almuerzo. Für die Cervezas.

Alle warten. Auf den Pastor und seine erlösenden Worte. Die Menschen grüßen sich flüchtig und ängstig. Am Boden atmen die roten Kerzen kalte Novemberluft.

Clowns auf Stelzen. Sie preisen Stereoanlagen. Sie humpeln. Überall Tiendas. Wir laufen, steigen ein, fahren, laufen. Wurst, Käse, Brot. Meine Nase riecht gerösteten Mais, riecht Abgase, den süßlichen Tortilla-Geruch, den es hier überall gibt.

Weihrauch. Weihrauch. Weihrauch.

Mit unseren Mochillas voller Alkohol steigen wir in den Bus. Wir reden mit Chileninnen. Wir sind da. Wir laufen durch Santiago: Tortillas, Maiskolben, Grillfleisch, Schnuck. Gestern ist mir klar geworden, dass dieses "Drachenfest" von dem hier alle Guatemalteken erzählen in Deutschland Allerheiligen heißt. 




Worte, die mir nichts sagen, fliegen vorbei. Mein Kopf quillt vor Erinnerungen die nichts mit diesem Ort zu tun haben. Meine Freunde drucksen. Das heißt, ihre Augen suchen nach Fixpunkten am Boden.

Unsere Camieonetas geben nach zehn Minuten auf. Wir laufen vorbei ann: Tortillaständen, Metzgereien, Grillständen, Obstsänden, CD-Ständen, Panaderias, Pollo-Ständen, Papaya-Ständen, Bierständen. Wir sehen Stände überall und Drachen sehen wir dann irgendwann auch.

Kein Wort. Ich fixiere den Mamorboden, spanne mich an. Um mich herum stehen schwarze Anzüge, schwarze Schuhe, schwarzer Kies. Der Weihrauch weckt mich auf.

Vor mir winden sich fünf haushohe Papierdrachen im Wind. Ihre Rücken aus Bambus dehnen sich, gröhlen, halten aus. Sie wollen gewinnen, weil am Ende des Tages der Drachenkönig gewählt wird. Deswegen haben sie ihre buntesten Kleider angelegt. Mit ihren Trachten erzählen sie die alten Geschichte, die mit jedem Mal besser werden.




Nach einer halben Stunde lösen wir uns auf. In der 30er-Zone stauen sich jetzt die schweren Wagen und am Bürgersteig, auf beiden Seiten, die schwarzen Anzüge. Gemeinsam kehren alle heim, am Nachmittag gibt es Kuchen.

Nach einer halben Stunde trinken wir das erste Bier. Wir bauen unser Lager auf einem der steinernen Gräber. Auf dem Weg hierher sind wir über Dutzende Erdhügel gestiegen auf denen Yucca-Palmen wachsen. Ob auf der Kopf- oder Fußseite des Grabes, traue ich mich nicht zu fragen. 

Die Situation ist schon jetzt vollkommen verrückt. Unseren Grabnachbarn verkauft der mobile Pizzabote seine Teiglinge, vor uns karrt der Eismann seinen Wagen über die Gräber. Am Boden treibt der Wind die rötliche Erde vor sich her, schiebt sie in jede Ritze. Am Himmel bläst er die Wolken vor die Sonne, bläst sie wieder weg. Als wir im Dreck sitzen, das staubige Dosenbier in unseren Händen, fühlt sich das an wie auf der Fusion, wie am Groezrock, so wie sich jedes Rockfestival eben anfühlt.

Mit jeder Cerveza, mit jedem Ron wird der Friedhof immer mehr zur Fiesta. Und das kollidiert mit meinen Erinnerungen. Außerdem rennt jetzt die Zeit. Irgendwann beiße ich auf frittierte Schweineschwarte mit Tortillas, irgendwann dämmert es, irgendwann lassen wir die feiernden Menschen mit ihren Angehörigen allein. 



Cut!

Ferner liefen vergangene Woche:

Jocotes en Miel: Auf dem fünftägigen Kunstfestival von Los Patojos haben Jan und ich zum ersten Mal entwickelt! Yeees! Zuerst die Fotos von Lochkameras, dann die der mitgebrachten Cams. Auf den Ergebnissen posen die Ninos auf Polizei-Pick-Ups, breakdancen auf Gräbern und halten Affen in die Linsen.

Frijol: Ohhhhh! Unser Haushund, Sucio!, hat Gesellschaft bekommen. Der anderthalb Monate alte Frijol ist seit ein paar Tagen unser Mitbewohner und ist heute zum ersten Mal ein paar Treppen hochgetrollt. 

Frijol
Boss, aka Sucio!

1 Kommentar:

  1. Thomas das zweite Bild ist der Wahnsinn! <3
    Ganz groß auf Leinwand und aufhängen. :)

    Grüße
    Dennis

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