Einen Überfall hatte ich mir immer ziemlich spektakulär vorgestellt. An Waffen hatte ich dabei gedacht, an fiese, junge Kerle mit dicken Muskel und deftigen Sprüchen. Mindestens eine Machete hatten die Malditos in meinen Gedankenspielen dabei. Eine Knarre: darauf hatte ich mich eingerichtet.
Freitag vor einer Woche. Wie immer ist heute Wandertag, wie immer machen sich rund 60 energiestrotzende Ninos bereit in die Berge zu stürmen. Und heute geht es tatsächlich in die Berge, zu einem Aussichtspunkt auf Jocotenango.
Nachdem wir die Stadt verlassen haben, biegen wir auf einen Feldweg ein. Es ist Sommer geworden in Guatemala und deswegen wirbeln die Kinderfüße staubige Dreckwolken vor uns her. An den Straßenrändern dürrt das Gras vor sich hin, immer wieder hupen uns Camionetas oder Moppeds zur Seite.
Wenn man mit Guatemalteken redet, kommt einem deren Sicherheitsgerede manchmal etwas paranoid vor. Mit der Camioneta in die Hauptstadt: Vorsicht. Nach 22 Uhr rausgehen: Lieber nicht. Nach dem Feiern von Antigua nach Hause laufen: Um Gottes Willen! Wenn ich in Erfurt nach dem Clubbesuch nach Hause geradelt bin, hatte ich höchstens vor den Polizeikontrollen Angst.
Wir haben gerade die letzten Häuser hinter uns gelassen als schon wieder zwei Typen auf ihrem Mopped heranknattern. Vorne ist die Kinderschlange mit Jan und Mauri schon in den Berg abgebogen, Rafa und ich schauen, dass hinten alle mitkommen. Die zwei Kerle beachte ich erst, als sie von ihrem Mopped absteigen. Kumpels von Rafa, denke ich.
Was wirklich abgeht, merke ich erst, als einer von den zweien ständig unter seine Jacke hineinfuchtelt. Immer wieder macht er diese Bewegung: Hand unter die Jacke, rumfuchteln, Hand unter die Jacke.... Die Kinder sind mittlerweile alle oben als Rafa und der Kerl aneinandergeraten. Rumschubsen, Wortfetzen, dann friemelt Rafa ein paar Quetzales aus seiner Hosentasche und die Typen machen sich davon. Erst jetzt wird mir endgültig klar, was da gerade abgelaufen ist. Auch Jan, David und Mauri rufen mittlerweile von oben, was da los ist. Die ganze Szene dauert höchstens eine Minute.
Was Sicherheit ist, vergisst man in Europa recht schnell. Der Wohlstand und seine halbwegs gerechte Verteilung haben dazu geführt, dass man diese Kategorie nicht mehr wahrnimmt. Sie ist einfach da. Wenn in Deutschland ein paar Jugendliche einen Mann in der U-Bahn totprügeln, beherrscht das wochenlang die Titelseiten. In Guatemala, wo täglich mehr als zehn Menschen erschossen werden, wäre das eine Randnotiz. Was für ein Luxus diese Sicherheit ist, merkt man erst, wenn man nachts nicht mehr um 1 Uhr vom Vorglühen auf die nächste Party laufen kann.
Anfänger seien das wohl gewesen, erzählt Rafa später. Die zwei Typen seien selbst ziemlich nervös rübergekommen. Zudem: unbewaffnet. Normalerweise käme man bei solchen Aktionen nicht mit 20 oder 30 Quetzales davon. Bei Überfällen auf Camionetas stiegen die Räuber vorne und hinten mit Knarren ein und einer würde dann abkassieren. „Mal sehen, was euch eure Bücher so bringen“, habe ihm mal ein Krimineller zugerufen, als er am Weg zu Universtität im Bus überfallen wurde.
Die Kids bolzen nach dem Überfall auf dem Staubfeld herum, auf dem wir nun auf die Polizei warten. Ob uns was passiert sei, fragen sie. Aufregung, Nervosität oder Angst scheint keiner zu haben. „Das war schon das zweite oder dritte Mal, dass mir sowas passiert ist“, sagt der zwölfjährige Josue.