Mittwoch, 14. März 2012

Volksfest²

Sonntag: Prozessionstag.
Gaben: Die gesamte Hauptstraße von Pastores bis Jocotenango ist mit Opferteppichen überzogen...
...und überall laufen wieder die Kuttenmänner herum. Diesmal schwingt jeder Dritte sein Weihrauchfass.
Wer hat die Größten? Um die Prozessionsstatuen gibt es einen regelrechten Wettkampf der Kirchengemeinden...
...zum Leiden der Träger, für die dies aber eine Ehre darstellt...
...und ganz besonders für die Frauen in Stöckelschuhen, die eine kleinere Statuenvariante durchs Dorf tragen.
Beutezug: Nachdem die Prozession über die Teppiche geschritten ist...
...können sich die Menschen an den Opfergaben bedienen.
Dulces: Überall wittern Straßenhändler das Geschäft des Monats. Diese Frau hat sich auf bunte Lollies für einen Quetzal spezialisiert.
Ufftatta: Wie immer dürfen auch die Blaskapellen nicht fehlen...
...die vor allem christliche Geschichten heraufbespielen.
Sprenkelmänner: Neben den Kuttenkollegen wohl die wichtigsten Protagonisten der Show. Mit dem Wasser sorgen sie dafür,...
...dass die Teppiche aus Sägemehl und Holzspähnen schwer genug bleiben, um dem Wind zu widerstehen.
Kitschige Kirche: Schon zwei Abende zuvor stimmen sich die Guatemalteken mit einer Totenwache in der Kirche auf die kommende Prozession ein. Überdimensional grelle Altarbilder und "Jesus ist allmächtig"-Tonaufnahmen inklusive.

Montag, 27. Februar 2012

Ein Volksfest

Was einem zuerst auffällt sind die fliederfarbenen Kuttenmänner. Wie Filmrekruten laufen sie am Sonntag durch Antigua und tupfen noch mehr Farbpunkte in die Kopfsteinstraßen als es ohnehin schon gibt.

Bis zur Osterwoche ist es noch weit über einem Monat, aber die „Semana Santa“ beginnt in Guatemala schon jetzt. Jedes Wochenende gibt es Totenwachen in den Dutzenden Kirchen, jeden Sonntag trompetet sich nun eine Prozession durch Antigua. 


Über zwölf Stunden dauern diese Märsche gewöhnlich. Zwölf Stunden, in denen die Trompeter in ihre Hörner pusten, Jugendliche wie römische Soldaten über das Kopfsteinpflaster uniformieren und starke und schwache Arme überdimensionale Heiligenfiguren über ihren Köpfen bugsieren.

Zwölf Stunden Volksfest. Seit Tagen senden die Fernsehkanäle Werbung für die Umzüge, zeigen Grafiken mit den genauen Wegangaben der Paraden. Die Jugendlichen treffen sich hier abends und pilgern zur Velación. Als ich am Sonntag durch Antigua schlendere kommen mir immer wieder Jugendgruppen entgegen. Pärchen küssen sich, während sie auf das Spektakel warten.

Zuerst riecht man den Umzug. Rund eine Stunde bevor die Prozession an ihrer Haustür vorbeizieht, bereiten die Anwohner die Teppiche vor. Dazu sprühen sie Wasser auf das staubige Kopfsteinpflaster, legen die Bilder aus Blumen, Fichtennadeln, Obst und Gemüse zusammen und wässern nochmal. Wenn man Glück hat und die Sonne noch nicht alles weggetrocknet hat, kann man etwas von dem Gewitterregenduft mitnehmen. Sonst bleibt einem nur der Grillrauch von den unzähligen Essensständen, die Tamales, Tortillas und Steaks anbieten.


 



Nach dem Riechen kommen die Ohren: Blaskapellenmusik schlängelt sich um die Ecken der Straßen und kündigt den Aufzug der Fliedermänner an. Und dann kommen sie, wie ein lila Meer und die Ecke marschiert. Großväter, Prolls mit dicken Armani-Sonnenbrillen, Väter mit Kinderwagen. An ihre lila Kutten haben sie Bilder von Jesus geheftet, wie er mit seiner Dornenkrone leidet. In ihren Händen haben manche Sandwiches und Cola-Dosen.

Vielleicht eine Dreiviertelstunde dauert es, dann ist die Menschenmasse vorbeigezogen. Jetzt kommt die Nachhut. Kinder stürzen sich auf die Teppiche und ziehen Blumen, Kartoffeln und Mandarinen aus den Bildern heraus. Dann kommt der Reinigungstrupp. Ein Dutzend Männer fegt und schaufelt alles übriggebliebene zusammen, am Ende saugen Männer die Fichtennadeln mit riesigen Staubsaugern von der Straße. Die Versammlung an dieser Ecke löst sich auf. Schnell ziehen die Leute ihre Prozessionspläne aus den Taschen und huschen zur nächsten Station. 




Sonntag, 26. Februar 2012

Un Asalto


Einen Überfall hatte ich mir immer ziemlich spektakulär vorgestellt. An Waffen hatte ich dabei gedacht, an fiese, junge Kerle mit dicken Muskel und deftigen Sprüchen. Mindestens eine Machete hatten die Malditos in meinen Gedankenspielen dabei. Eine Knarre: darauf hatte ich mich eingerichtet.  

Freitag vor einer Woche. Wie immer ist heute Wandertag, wie immer machen sich rund 60 energiestrotzende Ninos bereit in die Berge zu stürmen. Und heute geht es tatsächlich in die Berge, zu einem Aussichtspunkt auf Jocotenango.

Nachdem wir die Stadt verlassen haben, biegen wir auf einen Feldweg ein. Es ist Sommer geworden in Guatemala und deswegen wirbeln die Kinderfüße staubige Dreckwolken vor uns her. An den Straßenrändern dürrt das Gras vor sich hin, immer wieder hupen uns Camionetas oder Moppeds zur Seite.

Wenn man mit Guatemalteken redet, kommt einem deren Sicherheitsgerede manchmal etwas paranoid vor. Mit der Camioneta in die Hauptstadt: Vorsicht. Nach 22 Uhr rausgehen: Lieber nicht. Nach dem Feiern von Antigua nach Hause laufen: Um Gottes Willen! Wenn ich in Erfurt nach dem Clubbesuch nach Hause geradelt bin, hatte ich höchstens vor den Polizeikontrollen Angst.

Wir haben gerade die letzten Häuser hinter uns gelassen als schon wieder zwei Typen auf ihrem Mopped heranknattern. Vorne ist die Kinderschlange mit Jan und Mauri schon in den Berg abgebogen, Rafa und ich schauen, dass hinten alle mitkommen. Die zwei Kerle beachte ich erst, als sie von ihrem Mopped absteigen. Kumpels von Rafa, denke ich.

Was wirklich abgeht, merke ich erst, als einer von den zweien ständig unter seine Jacke hineinfuchtelt. Immer wieder macht er diese Bewegung: Hand unter die Jacke, rumfuchteln, Hand unter die Jacke.... Die Kinder sind mittlerweile alle oben als Rafa und der Kerl aneinandergeraten. Rumschubsen, Wortfetzen, dann friemelt Rafa ein paar Quetzales aus seiner Hosentasche und die Typen machen sich davon. Erst jetzt wird mir endgültig klar, was da gerade abgelaufen ist. Auch Jan, David und Mauri rufen mittlerweile von oben, was da los ist. Die ganze Szene dauert höchstens eine Minute.

Was Sicherheit ist, vergisst man in Europa recht schnell. Der Wohlstand und seine halbwegs gerechte Verteilung haben dazu geführt, dass man diese Kategorie nicht mehr wahrnimmt. Sie ist einfach da. Wenn in Deutschland ein paar Jugendliche einen Mann in der U-Bahn totprügeln, beherrscht das wochenlang die Titelseiten. In Guatemala, wo täglich mehr als zehn Menschen erschossen werden, wäre das eine Randnotiz. Was für ein Luxus diese Sicherheit ist, merkt man erst, wenn man nachts nicht mehr um 1 Uhr vom Vorglühen auf die nächste Party laufen kann.

Anfänger seien das wohl gewesen, erzählt Rafa später. Die zwei Typen seien selbst ziemlich nervös rübergekommen. Zudem: unbewaffnet. Normalerweise käme man bei solchen Aktionen nicht mit 20 oder 30 Quetzales davon. Bei Überfällen auf Camionetas stiegen die Räuber vorne und hinten mit Knarren ein und einer würde dann abkassieren. „Mal sehen, was euch eure Bücher so bringen“, habe ihm mal ein Krimineller zugerufen, als er am Weg zu Universtität im Bus überfallen wurde.

Die Kids bolzen nach dem Überfall auf dem Staubfeld herum, auf dem wir nun auf die Polizei warten. Ob uns was passiert sei, fragen sie. Aufregung, Nervosität oder Angst scheint keiner zu haben. „Das war schon das zweite oder dritte Mal, dass mir sowas passiert ist“, sagt der zwölfjährige Josue.

Donnerstag, 16. Februar 2012

Presseschau

Ein normaler Tag in Mittelamerika.

In Honduras brennt ein Gefängnis ab: 377 Tote.


Das guatemaltekische Umweltministerium soll vier Millionen Quetzales veruntreut haben.
Ein Polizist wird im guatemaltekischen Departamento Mixco mit vier Schüssen in die Brust hingerichtet.
Süß und gewagt.
In Mexiko werden neun Leichen gefunden.
Neue OECD-Studie: Ohne Trinkwasser steigt die Sterblichkeitsrate von Kindern und Müttern rapide an.
Nach dem Vorschlag vom guatemaltekischen Präsident Otto Perez diskutiert Zentralamerika über die Legalisation von Drogen.
Der guatemaltekische Torwart Ricardo Jerez ist seit 884 Minuten ohne Gegentor – Rekord in Zentralamerika.

Sonntag, 5. Februar 2012

Die Mango und ich – eine Liebesgeschichte ohne Happy End!

Den ersten Mangobaum meines Lebens sehe ich in Nicaragua. Kurz vor dem Pier, an dem unser Schiff zur Isla de Ometepe ablegen soll, liegen plötzlich überall grünliche Ovale zwischen den armlangen Pflastersteinen. Als wir sie einritzen, strömt der süßlich-herbe Duft aus dem klebrigen Nektar. Über unseren Köpfen hängen Tausende der grünen Früchte an dem immergrünen Sumachgewächs. 

Ein Mangobaum (Mangifera indica)
Die Mango: aufgewachsen im indischen Assam, ihren Siegeszug in die ganze Welt angetreten, 190mg Kalium auf 100 Gramm, 58 Prozent Tagesbedarfs an Vitamin A. Unsere Liebe war kurz und heftig. In Reportagen aus Afrika oder Asien klebte ich an den Nebensätzen über die vollhängenden Äste mit den gelb-roten Fruchtbällen. In den Asia-Gemüseläden in Erfurt blickte ich träumerisch auf die 5€-Flugmangos, die immer viel zu teuer waren. Die Mango und ich - das hätte hier in Guatemala ein Traumpaar werden können!

Unsere Trennung in Erfurt kam bitter und plötzlich. Ein Ballongesicht, Lippen wie nach einer Dolly-Buster-Ladung Collagen, leichte Atemnot. Kreuzallergie, so die Schnelldiagnose per Internet. Aus der Traum. Zerplatzte Liebe!

Nach fünf Wochen Mittelamerikareise zurück in Jocotenango: Nun sind die Mangos auch hier eingefallen. Überall verkaufen Straßenhändlerinnen die unreifen Früchte mit Chili und Pfeffer. Verschmerzbar, schmecken die grünen Teile nach mehreren Aussagen doch angeblich eher gemüsig und bitter.

Ein paar Tage später später grinsen mir die ersten gelben Exemplare aus den Tiendas in Jocotenango ins Gesicht. Kleiner als in Europa sind diese Exemplare, aber dafür so eidottrig gelb, so golden reif, dass ich dem Geschmack schon im Vorbeigehen nachschmachte.

Gestern in Antigua: Jetzt kommt anscheinend die komplette! Mango-Dröhnung. Mango: das eidottrig-gelbe Gold! Mango: das neue Fruchtneukölln! Die kleinen, goldenen Fruchtovale sind erwachsen geworden. Jetzt liegen neben den Bananen und Ananas auch grün-rötliche Frucht-Feinheiten. 





Zurück in Jocotenango greife ich ehrfürchtig zur abgepellten Schale von Jans Mango. Noten von Zimt, von reifen Beeren, oh du feiner Mangohauch!

"Ach, Kreuzallergie, Papperlapapp", denke ich kurz. Auf ins Mangovergnügen! Meine Rettung vor dem höchstwahrscheinlichen Allergieschock ist die Papaya. Zwei kleine Minitorpedos von dem "baumförmigen Kraut" hat unsere Gastmutter, Doña Elsa, in den Fruchtkorb gelegt. Wenn man Pech hat, haben diese Riesenbeeren einen Hauch von Erbrochenem, aber diese hier nicht! Buttriges Fruchtfleich, süßlicher Geschmack. Mit der Papaya kann man gut fremdgehen!

BAUMförmiges Kraut der Papaya